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Llull offenbart uns seine Ansicht über die innere Natur des Aktes,
indem er die sogenannten Korrelativa des Aktes, d.h. seine
dreifache[16] interne Konstitution beschreibt. Demzufolge kann es
keinen Akt der Gutheit ohne das Gutes-Stiftende, das
Gutes-Empfangende und das Gutes-Stiften geben.
Im Einklang hiermit hat alles Seiende am Sein Anteil durch die
inneren und natürlichen Akte dieser Prinzipien, die in Gott
Grundwürden oder Attribute heißen und durch deren Tätigsein
alles, was ist, sich entweder im primären oder sekundären Akt
befindet.[17]
Über diese allgemeinen Prinzipien hinaus führt Llull noch andere
ebenfalls höchst allgemeine und notwendige Prinzipien ein, die
ausnahmslos alles Seiende in sich begreifen und ohne welche nichts
aktuell sein könnte. So kommt es, daß der Mallorquiner neben dem
zuvor erwähnten «Unterschied», der zwischen den Prinzipien und
ihren Tätigkeiten besteht, auch auf die «Übereinstimmung» aller
Prinzipien untereinander, in ihrem wechselseitigen Einfluß und ihren
gegenseitigen Akten hinweist. Ebenso verweist er auf die
«Gegensätzlichkeit», die eintritt, sobald die Übereinstimmung
zerstört ist; sowie auf den «Anfang», der allem vorausgehen muß,
was nicht ewig ist, die «Mitte», durch die der Anfang sein Ende
und seine Vollkommenheit erreicht, weshalb auch das Ende ein
notwendiges Prinzip sein muß. Llull klassifiziert den Anfang, der
auf ein noch nicht erreichtes Ende zielt, als einen geringeren
Anfang. Deshalb auch bestehen in den Dingen die Prinzipien des
«Größerseins», des «Geringerseins» und der «Gleichheit»,
ohne welche es weder Ordnung, Frieden oder Ruhe, noch etwas vom
Geringeren zum Größeren bewegtes geben könnte, sondern nur
Verwirrung und Trennung und folglich Abwesenheit von Erkenntnis und
Tätigkeit.[18]
Das System der Ars umfaßt damit eine Konstellation aktuell
Seiender, die allesamt aus den eben genannten Prinzipien
hervorgehen, seien sie nun substanzielle, akzidenzielle oder
Vernunftentitäten, instrumentelle, künstliche oder mögliche
Entitäten mit ihren jeweiligen immanenten und transzendenten
Tätigkeiten, die ihnen zustehen, und alle bestimmt durch die
erwähnten Prinzipien.
Dieser erkenntnistheoretische Realismus ist in der Funktionsweise des
Mechanismus der Ars stets gegenwärtig: Bezeichnung setzt Verstehen
voraus, und das Verstehen setzt immer schon das Sein voraus. Mit
anderen Worten, das Erkennen hängt vom Gegenstand ab, und das
Bezeichnen von der Erkenntnis und vom Erkennen. Es ist unbedingt
nötig, daß die Begriffe des Geistes mit Worten ausgesprochen
werden, die die innerste Realität des Objektes zum Ausdruck
bringen, und natürlich zugleich zu wissen, was wir mit den Worten
sagen.
Es folgen die neun Gruppen oder Bereiche, auf die sich jedes
menschliche Fragen beziehen kann: Gott, Engel, Himmel, Mensch,
die Welt der Phantasie, die sensitive Welt, die vegetative Welt,
die Welt der Elemente und die des Künstlichen. Diese Bereiche
umfassen alle Möglichkeiten des menschlichen Fehlens und
Handelns.[19] Schließlich sei noch darauf aufmerksam gemacht,
daß sich in bezug auf die in diesen Bereichen enthaltenen Seienden
auf neun Arten Fragen stellen lassen: ob es etwas ist, was es ist,
woraus es ist, warum es ist, wieviel es ist, wie es beschaffen ist,
wo es ist, wann es ist, auf welche Weise und womit es ist. Mit
Hilfe dieser Fragen und mit ständigem Bezug auf die Definitionen,
Regeln und Bedingungen, wie sie in der Ars niedergelegt sind,
bietet Llull ein zuverlässiges System zur Unterstützung des
menschlichen Denkens.
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