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Besonders seine Auffassung vom Verhältnis zwischen Glauben und
Wissen war lange heftig umkämpft. Man hat behauptet, er habe die
einzelnen Glaubensgeheimnisse mit notwendigen Gründen beweisen
wollen, unterwerfe damit den Glauben der Beschränktheit der
menschlichen Vernunft und überfordere die Erkenntniskraft des
menschlichen Geistes. Einigen schien der Apostel des Glaubens,
statt den Glauben zu verbreiten, den Glauben zu zerstören.
Doch zeigt eine historische Interpretation, daß seine Auffassung
vom Verhältnis zwischen Glauben und Wissen vom Geist der
augustinischenfranziskanischen Theologie lebt. [10]. Seine
"notwendigen Gründe"[11]. - bis heute theologiegeschichtlich
noch in vielem rätselhaft - setzen im allgemeinen den Glauben bereits
voraus. Auch Ramon Martí OP, Richard von St. Viktor und
Bonaventura verwandten ähnliche Termini (rationes irrefragabiles,
necessariae, etc.); auch Skotus wurde - zu Unrecht - von Thomas
von Straßburg und Alfons von Toledo vorgeworfen, er habe einen
Vernunftbeweis der Trinität für möglich gehalten. [12].
Zu diesem Einfluß der theologischen Schule kommt die Prägung durch
seine persönlich-mystische Erfahrug. Sein Intelligere ist die
Betätigung des donum intellectus, eine der sieben Gaben des
Heiligen Geistes, und nicht das Vernünfteln eines Rationalisten
des 18. Jahrhundert.
Weiterhin muß seine Auffassung vom Glaubensverständnis von seiner
grundsätzlich apostolischen Zieleinstellung her verstanden werden.
Die äußeren Anforderungen des Kampfes gegen Averroismus und Islam
gaben seiner Lehre einen besoderen Charakter. Während der
Averroismus Glauben und Wissen getrennt hat, suchte Lull sie
möglichst in organischer Verbindung in eins zu fassen. Er wollte die
Theologie nicht auf den Bereich eigeschränkt wissen, der nur einer
irrationalen Zustimmung zugänglich ist, und wies deshalb vor allem
auf die Überlegenheit des rationalen Elementes im Glauben hin. In
dieser Einstellung bestärke ihn auch das Erlebnis des Versagens der
herkömmlichen Missionsmethoden. Das bloße argumentum ex auctoritate
war gegenüber den Mohammedanern wirkungslos. Für die erfordeliche
Erkenntnis der höchsten Wahrheiten erscheint ihm sowohl ein Glaube
ohne Einsicht als auch ein rein natürliches Erkennen ungenügend.
Um den Missionsauftrag Christi in rechter Weise erfüllen zu
können, muß man sich deshalb um ein vertieftes Glaubensvertändnis
bemühen.
Bei der Auffassung Lulls von Glaube und Wissen zeigt es sich
freilich auch, daß er als Autodidakt auf der Lehre aufbaut, die ihm
seine Umgebung fern von den Zentren christlicher Wissenschaft
vermitteln konnte, und daß diese Lehre noch nicht den großen
Gadankenbau eines heiligen Thomas in sich trug. Doch kann man ihm
dies nicht verargen, angesichts der Tatsache, daß Thomas noch weit
davon entfernt war, auch nur in seinem eigenen Orden als allgemein
anerkannte Autorität zu gelten. Sinnvollerweise kann man ihm auch
nicht den vorwurf machen, daß er den heute üblichen Beweisgang der
Fundamentaltheologie noch nicht entwickelt hat.
Nach seiner Auffassung kann auf der höheren Ebene des Erkennes der
begrenzte menschiliche Verstand kein Unendliches und Ewiges Sein
komprehensiv erfassen. [13]. Schon die Aufnahme der menschlichen
Nahrung sei ja begrenzt. [14]. Bei der Hervorhebung der Grenzen
des Verstandes geht er allerdings noch weiter und zeit mit einem
besonders bezeichnenden Beispiel, daß der Verstand ohne Glauben
völlig hilflos ist. Mit dem Intellekt verhalte es sich wie mit einem
Greis, der ohne Stab nicht weiterkomme; denn auch der Verstand
könne bei der Erkenntnis der göttlichen Dinge ohne die Hilfe des
Glaubens nicht vorankommen. Der "intellectus nudus"ohne den habitus
fidei versage in einem Bereich, der unserem Bemühen an sich noch
zugänglich sei. Somit stehen rationales Erkennen und Glaube nicht
im Gegensatz zueinander, sondern sind eng zu einer Einheit
verbunden. Sie sind voneinander abhängig und müssen beide zusammen
in den Bereich außerhalb der Sinnenerfahrung, zu dem auch das
Geheimnis der Heiligsten Dreifaltigkeit gehört, vordringen.
[15]. Die Tätigkeit der Vernunft beeinträchtige nicht den
Glauben sondern erhebe ihn. So vernalte es sich wie Öl in einem mit
Wasser gefüllten Gefäß; das Öl bleibe immer na der Oberfläche
und steige ebenso wie das Wasser zunehme. [16]. Glaubenserkennen
unterstützen einander als Akte derselben Fähigkeit. So tritt
schließlich der Intellekt in dem Roman Blanquerna als "frater
fidei" auf. [17].
Lull wendet sich auch immer wieder scharf gegen diejenigen, welche
einseitig die Verdienstlichkeit des credere herausstellen, um darüber
das intelligere vernachlässigen zu können. [18]. Auch durch seine
rationes necessariae will er die Verdienstlichkeit des Glaubens
keineswegs mindern. [19]. Nach seiner Meinung mühen sich aber
manche in götzendienerischer Weise um sich selbst und ihr Verdienst,
stregen sich aber nicht weiter an um die Erkenntnis des wahren
Gottes. [20]. Ein solcher Verzicht auf das Glaubensverständnis
bedeutet Gefahr des Averroismus, der Spaltung zwischen Wissen un
Glauben. Lull schärft demgegenüber wiederholt die Verpflichtung
zur Bemühung um Wahrheitserkenntnis ein[21]. (ähnlich wie auch
Augustinus, Anselm und Richard[22]. liegt ihm das ethische
Element der Wahrheitserkenntnis sehr am Herzen). Wer sich um eine
tiefere Erkenntnis Gottes bemüht, handelt verdienstlicher als
jemand, der bei der einfachen Glaubenszustimmung stehen bleibt; ja
wer das intelligere unberachtet lassen und sich mit dem bloßen credere
eines blinden Autoritätsglaubens begnügen will, begeht sogar eine
schwere Sünde. [23]. Das erste Gebot besage, daß man Gott aus
ganzem Herzen und mit alle Kräften lieben solle; wer sich also um
seine Erkenntnis nicht bemühe, mache sich der Sünden der superbia
und acedia schuldig. [24].
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