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Auch bei gutwilligen Menschen besteht oft ein gewaltiger Unterschied
zwischen der Lehre eines berühmten Mannes un dem praktisch gelebten
Zeugnis. Nich selten verstehen auch Gelehrte ihre Wissenschaft
ausdrücklich so, daß sie grundsätzlich nichts anderes als nur ein
neutrales, unpersönliches Registrieren und Ordnen von Meinungen
ohne Wertmaßstab und Stellungnahme vermitteln möchten.
Andererseits aber will sich sogar Wissenschaft heute auch oft nur noch
in praktischen Handlungsanweisungen und rein subjektivistisch
verwirklichen. Auch Theologieprofessoren und Religionslehrer sind
von diesen Haltungen beeinflußt.
Christlicher Galube jedoch beschränkt sich nicht auf ein
theoretisches Ja des Verstandes. Dementsprechend bietet auch die
theologische Glaubenswissenschaft nicht einfach nur objektive
Informationen, sondern setzt den persönlichen Glauben voraus und
steht im Dienst der Kirche, nicht von selbstsüchtigen Zwecken.
Sie dient, wie die Theologen immer wieder im Anschluß an
Ausgustinus[2]. festgestellt haben, unmittelbar dazu, den
lebendigen Glauben anzuregen, zu stärken und zu verteidigen.
Theologie ist außerdem zugleich sperkulative und praktische[3].
Wissenschaft, betrifft actio und contemplatio. Sie ist auch
untrennbar verbunden mit christlicher Spiritualität.
Auch wer nur oberflächlich mit Ramon Llull bekannt ist, sieht
sofort, daß er wie kaum ein anderer auch seiner Überzeugung
entsprechend gelebt hat und daher z. B. seine Missionstheologie,
seine Pädagogik oder seinen Ökumenismus mit außerordentlicher
persönlicher Hingabe verwirklicht hat. [4]. Er hat sich niemals
damit begnügt, nur intellektuelle Probleme aufzuzeigen oder
Programme für die Arbeit von anderen aufzustellen. Die Einheit von
Theorie und Praxis, theologischer Spekulation und Kontemplation
kennzeichnet seine Persönlichkeit und sein gesamtes literatisches
Werk.
Die große Vielfalt seiner Interessen und der Wechsel der
Lebensumstände konnte nur dadurch eine Mitte gewinnen daß seine
Theologie in beispielhafter Weise theozentrisch orientiert war - in
allen Bereichen bilden die trinitarisch gesehenen göttlichen
Grundwürden Erkenntnisquelle und Mittelpunkt der Überlegungen.
Unbeständigkteit und Wechsel in einem Lebesgang bewirken oft, daß
ursprünglich gefaßte Pläne mehrmals aufgegeben und geändert werden
müssen und deshalb schließlich die ganze Persönlichkeit ihre Mitte
verliert. Zwar gibt es nur selten bei einem Theologen soviel
Unbeständigkeit im äußeren Leben wie bei Lull. Aber selten
kommen auch in einem Leben die treibenden Kräfte so klar und
konsequent zum Ausdruck wie bei ihm. Ob er nun als Poet,
Pädagoge, Mystiker, Verfasser einer Generalkunst oder
Rechtslehre aktiv wird - alles sieht er auf das eine Zentrum
hingordnet.
Im Vergleich zu den Lehren der großen Scholastiker seiner Zeit ist
das theologische Fundament, welches ihm als Ausgangspunkt der
Überlegungen dient, zwar relativ dürftig u. a. wegen seiner
populär-didaktischen Ziele, des Verzichtes auf die theologische
Beweisart per auctoritatem oder der taktischen Anpassung an Muslime
und Juden. Doch wenn bereits der ihm bekannte Kernbereich
scholastischer Theologie eine derartige Bewegung und Dynamik bei ihm
selbst und nachfolgenden Generationen anregen konnte, so erkennt man
daran, welch gewaltige Kraft in der Theologie seiner Zeit lebending
gewesen sein muß.
Die Großzügigkeit und Weite der Zielsetzungen ist ein wichtiges
Kennzeichen für die Bedeutung einer Persönlichkeit. Wenn jemand
sogar die Entwicklung der Zukunft vorausahnen und in seinen Plänen
mitberücksichtigen konnte, dann zeigt sich diese Größe in
besonderer Weise. Bei Lull war dies manchmal in erstaunlicher Weise
der Fall. Viele Elemente seiner Missionsmethode, seiner
Vorstellungen von der Einrichtung einer Propagandakonkregation, sein
Kampf gegen Averroismus und Rationalismus oder seine Lehre von der
Unbefleckten Empfängnis in der Mariologie lassen seinen Blick für
die Zukunft erkennen. Die Bereitschaft und Energie mit der er noch
seinen letzten Lebensjahren große Pläne in Angriff nimmt und sich
von den normalen Ermüdungserscheinungen des Alters nichts anmerken
läßt, erweckt uneingeschränkte Bewunderung. So verkörpert er in
hervorragender Weise die christliche Tugen der Magnanimitas.
Bei Mißerfolgen zeigt sich oft erst der innere Kern der Person.
Die großen Enttäuschungen haben bei Lull zweigfellos nicht
gefehlt. Die Missionsarbeit bedeutete zu seiner Zeit na sich schon
ein Unternehmen mit wenig Aussicht auf Erfolg. In der
mohammedanischen Welt stand auf der öffentlichen Verkündigung des
christlichen Glaubens vielfach die Todesstrafe; trotz reger
Handelsbeziehungen waren Piraterie und Sklavenfang an der
Tagesordnung. Außerdem mußte Lull auch immer wieder die
Interesselosigkeit von Kirchlichen und staatlichen Behörden für die
großen Anliegen der Mission erleben. Dennoch ließ er sich nicht
erbittern oder entmutigen, sondern verfolgte unentwegt seine großen
Ziele.
Wenn allerdings ein theologisches System aus dem historischen
Zusammenhang gelöst und auf sich selbst gestellt wird, so ist damit
unvermeidlich die Gefahr von Mißverständnissen gegeben, da vieles
nur als Antwort auf die Anforderungen einer bestimmten geschichtlichen
Situation verstanden werden kann. Um so mehr gilt dies für einen
Autor, bei dem Theorie und Praxis so eng verbunden sind, wie bei
Raimundus Lullus. Wenn also Lullus-Anhänger und Lullus-Gegner
sein System isolierten, die einen verabsolutierend und die anderen
anathematisierend, so trugen sie gemeinsam dazu bei, daß er später
manchmal in den Ruf eines unklaren Pseudowissenschaftlers oder gar
glaubensfeidlichen Rationalisten kam. Wenn man jedoch den Lehrinhalt
seiner Schriften nach seinen historischen Voraussetzungen und den
konkreten Zielen hin untersucht, dann verlieren nicht nur die
Angriffe gegen seine Rechtgläubigkeit ihren vermeindlichen Boden,
sondern man gewinnt den Zugang zu einem historischen Verständnis
sowohl seiner Lehre wie seiner Person.
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