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Wir wissen, daß der Arbor scientiae mit der eindeutigen Absicht
verfaßt wurde, das Verständnis der Ars zu erleichtern. Der
Mönch sprach zu Llull: «Ramon, fèts aquest libre de què us he
pregat, e fèts-lo tal, per lo qual hom conega la vostra
entenció.»[4] Und tatsächlich ist dieses umfangreiche Werk ein
herausragender Beweis für das universelle Wissen, das sich mit dem
System der Ars erreichen läßt.
Aber was ist letzten Endes Llulls Ars? Das Beste, was man zur
Beantwortung dieser Frage tun kann, ist, sich den Erklärungen Le
Myésiers anzuvertrauen.
Grosso modo läßt sich zunächst sagen, daß die Ars sich als ein
relationales System allgemeiner Begriffe darstellt.[5] Ihre
Struktur wird bestimmt durch eine Reihe von Prinzipien, ihre
jeweiligen Definitionen und einige Funktionsbedingungen. Der erste
Eindruck könnte dazu verleiten, sie mit einer rein formalen Logik
gleichzusetzen; schon bald jedoch merkt man, daß ihre Reichweite
erheblich größer ist, denn das gesamte System zielt auf die
Erkenntnis des Realen. Und in der Tat beginnt Le Myésier seine
Einleitung mit einer Beschreibung jener Figur, die späterhin als
«Figur des Seienden»[6] bekannt wurde, die die Gesamtheit des
Seins repräsentiert, so wie es der menschliche Geist erfaßt: Eine
Sphäre, in deren Mitte sich der Mensch befindet, und von der aus
in konzentrischen Kreisen zunächst das sensitiv Seiende, darauf das
imaginativ Seiende und schließlich die geistige Welt zu sehen sind.
Denn die Vernunft, so erklärt Le Myésier, erreicht die geistigen
Substanzen, weil sie mehr Form, Akt, Natur und Sein hat als die
körperhafte Natur.
Damit kann Llull bereits als moderner Autor gelten, denn
schließlich ist die moderne Philosophie eine Philosophie, die vom
Subjekt ausgeht.[7] Man kann zwar behaupten, daß es ein Fehler
war, vom Subjekt auszugehen, und einige tun dies auch; aber dann
gerät man in die absurde Lage, die gesamte moderne Philosophie
beiseite lassen zu müssen. Die moderne Philosophie wollte ihren
Ausgang vom Subjekt nehmen, vom Menschen; aber sie wurde aus einer
metaphysischen Perspektive heraus entwickelt, in der man das Sein des
Menschen mit Hilfe der Analogie untersuchte. Damit greift sie aber
zu kurz.
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