9. Glaubenstreue und missionarische Anpassung

Die Hinführung der Ungläubigen zur Einheit des wahren Glaubens war das große Ideal, für das Lullus all seine Kräfte einsetzen wollte. Auch seine Theologie muß deshalb in erster Linie als Missionstheologie verstanden werden. Vor allem liegen ihm Praxis und Theorie der Missionsarbeit am Herzen, und die theologische Spekulation interessiert ihn besonders unter dieser Rücksicht. Die Interessen der Mission hatten zwar im 13. Jahrhundert schon vielfach Anlaß zu theologischen Fragestellungen gegeben, jedoch die geistige Auseinandersetzung mit Islam und Judentum setzte oft erst lange nach der praktischen ein, ja die Missionsarbeit bildete schließlich auch nur eine unter vielen anderen wichtigen Bestrebungen der großen Orden der Dominikaner und Franziskaner. Bei Lullus ist aber nun seine gesamte Aktivität dem Ziel untergeordnet, die Ungläubigen und Unwissenden zum wahren Glauben an Christus zu führen und sich deshalb mit ihnen geistig auseinander zu setzen. Er selbst nennt sich Procuratur infidelium.[46]. Noch in jüngster Zeit ist sein Eifer in der Enzyklika Rerum orientalium von Pius XI. Ehrenvoll erwähnt worden. [47]. Lullus hat sich bemüht, echte Überzeugungen zu vermitteln und sieht deutlich die Gefahren die auch in späteren Jahrhunderten nicht immer vermieden wurden, daß man nämlich bei Anwendung von Druckmitteln die Menschen nur äußerlich bewegt und Heuchler gewinnt. Sein Kommunikationswille ist so stark, daß er auch vor dem Studium von Sprache und Lehre der Araber nicht zurückschreckte.

Aber ein lebendiger Kommunikationswille beeinträchtigt oft die Festigkeit der eigenen Position. Derartiges kann bei Lull nicht festgestellt werden. Er ist davon überzeugt, daß auch bei einer Auseinandersetzung mit den Waffen in denen der Gegner besonders versiert ist, die übernatürliche christliche Wahrheit zum Siege kommen muß. Die theologischen Wahrheiten suchte er mit der Unbergsamkeit seiner Logik miteinander in Beziehung zu setzen. So will er im Vertrauen dem Selbstbewußtsein des Gläubigen die Überlegenheit des Christentums gerade in den Dingen aufzeigen, die vom Gesprächspartner trennen. Skeptische Unsicherheit und müde Resignation in Missionsfragen, die auch zu seiner Zeit weit verbreitet waren, kannte Lullus nicht. So bildet er in vieler Hinsicht das Vorbild für ein echtes Laienapostolat.

Bei seinen Auseinandersetzungen geht Lullus nicht so vor, daß er von der Wahrheit des Glaubens zunächst einmal völlig abstrahiert, um ihn dann zu beweisen. Er führte Disputation nicht wie jemand, der am Glauben zweifelt, der erkannte Dinge aus Rücksicht auf den Gesprächspartner auch innerlich noch einmal für sich in Frage stellt. Er verfällt nicht der Gefahr so vieler Religionsgespräche, die von vornherein der Wahrheit gegenüber Kompromisse zu machen bereit sind oder wenigstens den anderen im Glauben lassen, man sei zu Zugeständnissen bereit. Fremd ist ihm auch die Flucht in eine scheinbare, die Parteien überragende Neutralität, die um der einer angeblichen Wissenschaft willen nicht bereit ist, persönlich Stellung zu bezeiehen und sich zu engagieren. Seine theologischen Darlegungen entsprachen daher durchaus dem Grundsatz des heiligen Anselm: "Nullus quippe christianus debet disputare, quomodo quod catholica ecclesia corde credit et ore confitetur, non sit; sed semper eandem fidem indubitanter tenendo, amando et secundum illum vivendo, humiliter quantum potest, quaerere rationem, quomodo sit".[48].