4. Einheit von Glauben und Wissen

Besonders seine Auffassung vom Verhältnis zwischen Glauben und Wissen war lange heftig umkämpft. Man hat behauptet, er habe die einzelnen Glaubensgeheimnisse mit notwendigen Gründen beweisen wollen, unterwerfe damit den Glauben der Beschränktheit der menschlichen Vernunft und überfordere die Erkenntniskraft des menschlichen Geistes. Einigen schien der Apostel des Glaubens, statt den Glauben zu verbreiten, den Glauben zu zerstören.

Doch zeigt eine historische Interpretation, daß seine Auffassung vom Verhältnis zwischen Glauben und Wissen vom Geist der augustinischenfranziskanischen Theologie lebt. [10]. Seine "notwendigen Gründe"[11]. - bis heute theologiegeschichtlich noch in vielem rätselhaft - setzen im allgemeinen den Glauben bereits voraus. Auch Ramon Martí OP, Richard von St. Viktor und Bonaventura verwandten ähnliche Termini (rationes irrefragabiles, necessariae, etc.); auch Skotus wurde - zu Unrecht - von Thomas von Straßburg und Alfons von Toledo vorgeworfen, er habe einen Vernunftbeweis der Trinität für möglich gehalten. [12].

Zu diesem Einfluß der theologischen Schule kommt die Prägung durch seine persönlich-mystische Erfahrug. Sein Intelligere ist die Betätigung des donum intellectus, eine der sieben Gaben des Heiligen Geistes, und nicht das Vernünfteln eines Rationalisten des 18. Jahrhundert.

Weiterhin muß seine Auffassung vom Glaubensverständnis von seiner grundsätzlich apostolischen Zieleinstellung her verstanden werden. Die äußeren Anforderungen des Kampfes gegen Averroismus und Islam gaben seiner Lehre einen besoderen Charakter. Während der Averroismus Glauben und Wissen getrennt hat, suchte Lull sie möglichst in organischer Verbindung in eins zu fassen. Er wollte die Theologie nicht auf den Bereich eigeschränkt wissen, der nur einer irrationalen Zustimmung zugänglich ist, und wies deshalb vor allem auf die Überlegenheit des rationalen Elementes im Glauben hin. In dieser Einstellung bestärke ihn auch das Erlebnis des Versagens der herkömmlichen Missionsmethoden. Das bloße argumentum ex auctoritate war gegenüber den Mohammedanern wirkungslos. Für die erfordeliche Erkenntnis der höchsten Wahrheiten erscheint ihm sowohl ein Glaube ohne Einsicht als auch ein rein natürliches Erkennen ungenügend. Um den Missionsauftrag Christi in rechter Weise erfüllen zu können, muß man sich deshalb um ein vertieftes Glaubensvertändnis bemühen.

Bei der Auffassung Lulls von Glaube und Wissen zeigt es sich freilich auch, daß er als Autodidakt auf der Lehre aufbaut, die ihm seine Umgebung fern von den Zentren christlicher Wissenschaft vermitteln konnte, und daß diese Lehre noch nicht den großen Gadankenbau eines heiligen Thomas in sich trug. Doch kann man ihm dies nicht verargen, angesichts der Tatsache, daß Thomas noch weit davon entfernt war, auch nur in seinem eigenen Orden als allgemein anerkannte Autorität zu gelten. Sinnvollerweise kann man ihm auch nicht den vorwurf machen, daß er den heute üblichen Beweisgang der Fundamentaltheologie noch nicht entwickelt hat.

Nach seiner Auffassung kann auf der höheren Ebene des Erkennes der begrenzte menschiliche Verstand kein Unendliches und Ewiges Sein komprehensiv erfassen. [13]. Schon die Aufnahme der menschlichen Nahrung sei ja begrenzt. [14]. Bei der Hervorhebung der Grenzen des Verstandes geht er allerdings noch weiter und zeit mit einem besonders bezeichnenden Beispiel, daß der Verstand ohne Glauben völlig hilflos ist. Mit dem Intellekt verhalte es sich wie mit einem Greis, der ohne Stab nicht weiterkomme; denn auch der Verstand könne bei der Erkenntnis der göttlichen Dinge ohne die Hilfe des Glaubens nicht vorankommen. Der "intellectus nudus"ohne den habitus fidei versage in einem Bereich, der unserem Bemühen an sich noch zugänglich sei. Somit stehen rationales Erkennen und Glaube nicht im Gegensatz zueinander, sondern sind eng zu einer Einheit verbunden. Sie sind voneinander abhängig und müssen beide zusammen in den Bereich außerhalb der Sinnenerfahrung, zu dem auch das Geheimnis der Heiligsten Dreifaltigkeit gehört, vordringen. [15]. Die Tätigkeit der Vernunft beeinträchtige nicht den Glauben sondern erhebe ihn. So vernalte es sich wie Öl in einem mit Wasser gefüllten Gefäß; das Öl bleibe immer na der Oberfläche und steige ebenso wie das Wasser zunehme. [16]. Glaubenserkennen unterstützen einander als Akte derselben Fähigkeit. So tritt schließlich der Intellekt in dem Roman Blanquerna als "frater fidei" auf. [17].

Lull wendet sich auch immer wieder scharf gegen diejenigen, welche einseitig die Verdienstlichkeit des credere herausstellen, um darüber das intelligere vernachlässigen zu können. [18]. Auch durch seine rationes necessariae will er die Verdienstlichkeit des Glaubens keineswegs mindern. [19]. Nach seiner Meinung mühen sich aber manche in götzendienerischer Weise um sich selbst und ihr Verdienst, stregen sich aber nicht weiter an um die Erkenntnis des wahren Gottes. [20]. Ein solcher Verzicht auf das Glaubensverständnis bedeutet Gefahr des Averroismus, der Spaltung zwischen Wissen un Glauben. Lull schärft demgegenüber wiederholt die Verpflichtung zur Bemühung um Wahrheitserkenntnis ein[21]. (ähnlich wie auch Augustinus, Anselm und Richard[22]. liegt ihm das ethische Element der Wahrheitserkenntnis sehr am Herzen). Wer sich um eine tiefere Erkenntnis Gottes bemüht, handelt verdienstlicher als jemand, der bei der einfachen Glaubenszustimmung stehen bleibt; ja wer das intelligere unberachtet lassen und sich mit dem bloßen credere eines blinden Autoritätsglaubens begnügen will, begeht sogar eine schwere Sünde. [23]. Das erste Gebot besage, daß man Gott aus ganzem Herzen und mit alle Kräften lieben solle; wer sich also um seine Erkenntnis nicht bemühe, mache sich der Sünden der superbia und acedia schuldig. [24].